Manchmal begegnen wir in unserer Arbeit Teilnehmer:innen denen es nicht leicht fällt, mit Gefühlen adäquat umzugehen, das kann daran liegen, dass sie dies in ihrer Kindheit nie richtig gelernt haben, dass sie im Erwachsenenalter in der schnelllebigen Zeit den Zugang zu sich selbst 'wie verloren' haben oder dass sie eigene Gefühle immer nur als überfordernd erlebt haben und es als einfacher erlebt wurde, sich abzulenken oder anderweitig zu kompensieren, etc.
Eine Kompensationsstrategie, die Menschen im Laufe ihres Lebens lernen, um vor allem unangenehme Gefühle nicht spüren zu müssen, ist das emotionale Essen. Mit übermäßigem Essen werden Emotionen dann überdeckt, bzw. betäubt und die Menschen haben erstmal subjektiv das Gefühl, dass es Ihnen nach dem Essen besser gehe. Das ist ein Trugschluss, da Gefühle sich nicht dauerhaft verdrängen lassen. Da verdrängte und unterdrückte Gefühle mit der Zeit zu ernsthaften Erkrankungen führen können, ist es eine wichtige Aufgabe, Menschen dabei zu unterstützen, wieder in einen gesunden, angemessenen Umgang damit zu finden und ihnen die Erfahrung zu ermöglichen, dass sie unangenehme Gefühle halten und selbst regulieren können.
Denn was braucht es hier statt Essen? Es braucht das bewusste Fühlen und eine annehmende, liebevolle Zuwendung zu den eigenen Emotionen hin.
Es gibt eine einfache Übung, die wir den Teilnehmer:innen ans Herz legen können, damit sie wieder leichter mit ihren Gefühlen in Kontakt treten und ein gesunden, regulierenden Umgang mit ihren Gefühlen lernen können und das geht mit einer Körperübung aus der körperorientierten Psychotherapie.
Mit der Übung können die Menschen in ihrem Körper nachspüren, welche Empfindungen sich zeigen und merken, wie sich diese mit der wohlwollenden Selbstzuwendung nach und nach leichter anfühlen, bis sie sich nahezu auflösen.
Wichtig ist, diese Übung in einem sicheren Rahmen einzuüben und dabei mit einer Situation zu arbeiten, die nur leichte unangenehme Gefühle hervorgebracht hat. So ist ein Erfolgserlebnis spürbar und die Teilnehmer:innen können selbst die Wirkung erspüren und ein sicheres Gefühl im Umgang erlangen, ohne sich zu überfordern. Bei guter Anleitung können sie die Übung im Anschluss jederzeit selbst zu Hause wiederholen und nach und nach auch herausforderndere Gefühle damit integrieren lernen. Achtung: Diese Übung führen wir nur mit psychisch gesunden Menschen durch, da sie bei manchen psychiatrischen Erkrankungen zu akuter Überforderung oder Dissoziation führen können!
Durchführung:
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Wir holen die TN ab und fragen sie, ob sie bereit ist eine Übung auszuprobieren, bei der sie mit ihrem Körper wohlwollend in Kontakt tritt
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Wir fragen die TN ob sie sich in sicherer Umgebung befindet und sich möglichst wohlfühlt oder ob sie noch etwas von uns braucht, damit sie sich sicher fühlen kann
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Wir erklären Sinn und Zweck der Übung, um ein Bewusstsein zu schaffen und eine Alternative zum Essen zu ermöglichen, indem sie möglichst wohlwollend mit ihrem Körper zusammenarbeitet
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Die TN darf nun die Augen schließen oder geöffnet lassen, wenn es ihr ein Gefühl von mehr Kontrolle gibt
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Wir bitten sie ruhig einzuatmen und darauf zu achten, dass sie bei der Übung darauf achtet, dass das Ausatmen länger andauert, als das Einatmen, da dies das Nervensystem beruhigt
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Anschließend bitten wir sie an eine Situation zu denken, die in ihr leicht unangenehme Gefühle hervorgerufen haben (und die sie vielleicht sogar mit Essen reguliert hat) wir bitten sie das Gefühl, was dabei aufsteigt zu skalieren (1 sehr leichtes Gefühl, nahezu nicht spürbar und leicht aushaltbar – 10 höchst unangenehmes Gefühl, nicht auszuhalten, bewirkt oft Angst, Überforderung) für diese Übung sollte die Skalierung bei 2–3, maximal 4 liegen, sonst lassen wir nach einer kurzen Pause eine andere Situation zu, die sich leichter anfühlt
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Nun bitten wir die TN in ihren Körper zu spüren und auszusprechen, wie sich das Gefühl im Körper bemerkbar macht, welche Qualitäten es hat und wie es sich anfühlt, auch diese Empfindung darf sie nun skalieren
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Als Nächstes bitten wir die TN ganz wohlwollend in diese Stelle des Körpers hineinzuatmen – informieren, dass es nicht um ein 'Wegatmen' geht, sondern dass wir mit der Aufmerksamkeit bei dem Körpergefühl bleiben, aber ganz sanft hin atmen
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Wir können nach etwa 3–5 Wiederholungen fragen, wie es sich anfühlt und ob sich etwas geändert hat, können aber auch bereits den nächsten Impuls dazu geben:
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wir bitten sie, ihre Fingerspitzen unterstützend dazuzunehmen und die Körperempfindung abzuklopfen – das darf sich anfühlen, wie Regentropfen, die auf die Haut prasseln
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auch hier wird die Atmung unterstützend dazugenommen
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in das Körpergefühl liebevoll hineinatmen und beim Ausatmen wie aus der Empfindung hinwegschmelzen lassen, aber immer mit der Aufmerksamkeit beim Gefühl
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nach weiterer Wiederholung fragen wir (wieder) nach, wie es sich anfühlt, ob sich etwas verändert hat
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im Normalfall spürt die TN bereits nach wenigen Wiederholungen, dass sich das Gefühl leichter anfühlt, das lassen wir auch nochmal skalieren
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wir lassen sie dann nochmal durchatmen, ggf. mit dem Physiologischen Seufzer aus STL und holen sie dann ins Hier und Jetzt zurück, Augen öffnen, räkeln, strecken etc.
Wichtig zu wissen: Es kann sein, dass die Körperempfindung dann auch einmal wandert, z. B. vom Hals in den Bauch, das ist ganz normal – das geben wir der TN auf jeden Fall auch mit, damit sie nicht verunsichert ist, wenn das zu Hause auftritt, in dem Fall kann sie die Übung auf die neue Empfindung erweitern und an die neue Stelle atmen und klopfen
Diese Übung darf sie im Anschluss an das Telefonat fortführen, bis das Gefühl bei 1 oder 2 ist und wir bestärken sie noch darin, dies mit anderen Situationen zu üben, allerdings anfangs immer mit Situationen, die nur leicht unangenehme Gefühle hervorbringen, um den Umgang damit zu üben und sicher zu werden, sie darf dann später selbstständig bis zur Skalierung von Situationen von 6 und 7 arbeiten, wenn sie sich mit der Übung sicher fühlt.
Es kann passieren, dass die TN fragen, ob es auch bei Skalierung 8+ möglich ist, davon ist abzuraten, da sie sich dann überfordern können und diese wertvolle Übung aus Angst dann vielleicht nicht mehr anwenden. Die Übung kann aber später durchgeführt werden – wenn die Emotionen etwas abgeflacht sind und nicht mehr so stark empfunden werden. Sie bietet so auch eine große Chance zur Regulierung von starken Gefühlen, nur dass wir diese starken Gefühle dann in 'Stücken' und erst nach und nach angehen.
Im Grunde werden die Gefühle bei dieser Übung durch das Nachspüren und Wahrnehmen leichter und wir lernen sogar zeitgleich Gefühle besser zu halten und unser Stresstoleranzfenster zu weiten, sodass wir in ähnlichen Situationen sogar gelassener werden können.